Krebs, Konrad: Psychiatrische Nachsorgeambulanz für aus dem Justizvollzug entlassene psychisch kranke Gefangene – Einzelartikel aus R&P 1/2022

Eine empirische Bestandsaufnahme
Internationale Studien bei Strafgefangenen zeigen eine deutlich höhere Prävalenz psychischer Störungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Im Gegensatz zu Patienten forensisch-psychiatrischer Kliniken ist die Nachversorgung schwer psychisch kranker Haftentlassener wenig geregelt. Aus einer Voruntersuchung ist bekannt, dass das Schnittstellenmanagement dieser spezifischen Patientenpopulation erschwert ist und eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen der allgemeinpsychiatrischen Versorgung inkl. des öffentlichen Gesundheitsdienstes gefordert werden muss, um diesen Patienten eine Fortführung der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung nach Beendigung der Inhaftierung zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang wurde auf der Grundlage des Berliner Strafvollzugsgesetzes eine psychiatrische Ambulanz für Haftentlassene gegründet, welche eine vorübergehende Behandlung ermöglicht. Es handelt sich dabei um die erste Ambulanz in Deutschland dieser Art, die im Rahmen eines ambulanten Behandlungsangebotes weder zum Regelversorgungssystem nach §118 SGB V, wie z. B. die Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA), noch zu den sog. forensisch-therapeutischen-/psychiatrischen Ambulanzen gehört. Anhand einer Vollerhebung erfolgte eine Analyse und Charakterisierung der Patientenpopulation in den ersten Jahren nach Gründung (2016 – 2020, n = 21), um die Bedarfe dieser spezifischen Zielgruppe zu erfassen. Es zeigte sich, dass viele ehemalige Patienten eine solche Behandlung gar nicht erst aufnahmen. Bei einigen Patienten war es möglich, eine Überführung in das reguläre Versorgungssystem zu bahnen. Bei diesen Patienten war vorab bereits eine reguläre ambulante Behandlung geplant gewesen. Insbesondere Patienten, die in keinen sozialen Empfangsraum, sondern in die Obdachlosigkeit entlassen wurden, nahmen keine Behandlung wahr. Damit bestätigen sich in Bezug auf sozioökonomische Faktoren genau die Risikofaktoren, die aus der Literatur bekannt sind. Andere Faktoren, wie Deliktart, Vorstrafen oder frühere psychiatrische Behandlungen hatten keinen Einfluss auf die Behandlungsadhärenz. Die Behandlungsangebote dieser Ambulanz sollten daher vor diesem Hintergrund weiter angepasst werden, um diese spezifische Gruppe noch besser zu erreichen.
Schlüsselwörter: Gefängnis, psychische Erkrankung, ambulante Versorgung, psychisch kranke Straftäter