Querengässer, J.; Traub. H.-J.; Wenn die Bremse zum Gaspedal wird – Die Entwicklung der Unterbringungsanordnungen gemäß § 64 StGB vor und nach dessen Neuformulierung 2007 – Einzelartikel aus R&P 1/2021
2007 erfolgte eine Neuformulierung des § 64 StGB mit dem Ziel, die Zahl der angeordneten Unterbringungen in eine Entziehungsanstalt zu senken. Diese steigt bundesweit seither jedoch weiter an. Die vorliegende Arbeit zielt auf eine differenzierte Analyse der Entwicklungen je im Zehnjahreszeitraum vor und nach der Novelle anhand der Auswertung linearer Trendmodelle und basiert auf allen Unterbringungsanordnungen (UAO) gemäß § 64 StGB zwischen 1997 und 2016. Landesspezifische Inzidenzen werden ebenso berechnet und ausgewertet wie Populationsparameter der entsprechend Verurteilten hinsichtlich soziodemografischer, urteilsbezogener und kriminal-anamnestischer Eigenschaften. Die linearen Trendmodelle bezüglich der Entwicklung der Inzidenzen bzw. Anteile wurden mittels Kurvenanpassungstests (linear fit) auf konsistente Ab- bzw. Zunahmen untersucht. Zwar erfolgt in keinem Bundesland nach der Novelle ein konsistenter Rückgang der UAO, doch ergeben sich deutliche differenzielle Unterschiede in den Steigerungen vor und nach 2007. Die bundesweite Zunahme der UAO geht insbesondere auf die Entwicklungen in Bayern und Nordrhein-Westfalen zurück. Bekannte Veränderungen der Population, etwa eine Zunahme voll schuldfähiger BtM-Täter mit hoher krimineller Vorbelastung, werden bestätigt. Alle diese Veränderungen beschleunigten sich jedoch nach 2007. Als Ursachen für die Befunde werden neben einer Zunahme suchtmittelassoziierter Delinquenz auch Änderungen der von Gerichten und Sachverständigen angelegten Bewertungsmaßstäbe diskutiert. Letztere würden auch die landesspezifischen Unterschiede erklären. Zu denken geben sollte die Diskrepanz zwischen dem Willen des Gesetzgebers und der rechtspraktischen Umsetzung.