Lehmann: Diagnostik paraphiler Störungen und Kriminalprognose bei Sexualstraftätern unter Berücksichtigung des Tatverhaltens – Einzelartikel aus R&P 4/2024

Fallbeispiele für die Praxis
Die Einschätzung des Rückfallrisikos bei Sexualstraftätern sowie eine zuverlässige Diagnostik paraphiler Störungen spielen in der forensischen Begutachtung eine wichtige Rolle und sollten auf unterschiedlichen Informationsquellen basieren. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über verschiedene Verfahren zur Prognose und Diagnostik anhand des Tatverhaltens und illustriert deren Anwendung anhand von Fallbeispielen. Die vorgestellten Studien zeigen, dass die Rückfälligkeit bei Sexualstraftaten anhand von Indikatoren des Tatverhaltens vorhergesagt werden kann. Der Tatbild-Risiko-Score und verschiedene rückfallrelevante Tatmerkmale erwiesen sich im Vergleich zum Static-99 als inkrementell valide, was darauf hindeutet, dass die Kombination statischer Prognoseinstrumente mit tatverhaltensbasierten Indikatoren zu einer besseren Bestimmung des Rückfallrisikos führt. Angesichts der geringen Reliabilität klinischer Diagnosen wie der pädophilen Störung und des sexuellen Sadismus wird empfohlen, die vorgestellten tatverhaltensdiagnostischen Screeningverfahren (SSPI, SSPI-2, SSPT und SeSaS) nach dem Konvergenzprinzip als zusätzliche diagnostische Hilfsmittel einzusetzen. Diese Verfahren können die klinische Diagnostik verbessern, indem die zugrunde liegenden Kriterien transparent und nachvollziehbar dargestellt werden. Obwohl einige dieser Ansätze bereits vor mehr als zwanzig Jahren entwickelt wurden, zeigt sich, dass sie noch nicht ausreichend in der forensischen Praxis umgesetzt werden. Die in diesem Beitrag vorgestellten Fallbeispiele sollen die praktische Anwendung dieser Ansätze verdeutlichen und deren Verbreitung in der forensischen Praxis fördern.
      Schlüsselwörter: Paraphilie, Kriminalprognose, Risikoeinschätzung, Tatverhalten