Schmittat, Sautner, Velten: Zur Relevanz von Vorstrafen für die Anklageentscheidung – Einzelartikel aus R&P 1/2023
Werden vorbestrafte Beschuldigte oder Angeklagte bei der Entscheidung
über die Schuld anders behandelt als unbelastete?
Registerauszüge über Vorstrafen von Beschuldigten finden sich
regelmäßig in den Verfahrensakten, obgleich sie nach h. M. mit
wenigen Ausnahmen erst im Falle eines Schuldspruches für die
Strafzumessung von rechtlicher Bedeutung sind. Entgegen intuitiven
Annahmen zeigt die psychologische Forschung, dass
Vorstrafeneffekte auf Urteile nicht nur klein, sondern auch wenig
zuverlässig sind. Die zentralen Weichen für den Ausgang des
Strafverfahrens werden jedoch bereits wesentlich früher bei der
Anklageentscheidung im Ermittlungsverfahren gestellt. Welche
Rolle Vorstrafen in diesem heiklen Stadium des Strafprozesses
spielen, ist indessen noch kaum erforscht. Eine Analyse des Forschungsstandes
über die zugrunde liegenden kognitiven Mechanismen
weist darauf hin, dass Vorstrafen nicht grundsätzlich
negativ auf den Beurteiler wirken und überdies eine negative
Beurteilung nur unter bestimmten Rahmenbedingungen stattfindet.
Die vorhandenen Erkenntnisse werden im vorliegenden
Beitrag auf die Anklageentscheidung übertragen und diskutiert.
Demnach sind generell negative Auswirkungen auch im Ermittlungsverfahren
nicht zu erwarten.