Krüger, P.; Schmitz, S.; Niehaus, S.: Täterbezogene Mythen über geistige Behinderung und sexuelle Gewalt – Einzelartikel aus R&P 2/2016

Als Beschuldigte in einem Strafverfahren sehen sich intellektuell beeinträchtigte Menschen mit einem Rechtssystem konfrontiert, dessen Abläufe schon für Normalbegabte schwer zu verstehen sind. Erhalten Betroffene nicht die nötige Unterstützung und werden Besonderheiten in der Kommunikation von den Verfahrensbeteiligten nicht berücksichtigt, haben sie geringere Chancen auf Verfahrensgerechtigkeit als Normalbegabte. Negative Einstellungen und behinderungsspezifische Mythen können die Fallbeurteilung durch Verfahrensbeteiligte zusätzlich beeinflussen und sich somit unbemerkt auf Verlauf und Ausgang des Verfahrens auswirken. Die Wahrung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit hängt hier somit erheblich von den am Verfahren beteiligten Fachpersonen ab. Eine systematische Analyse der Situation intellektuell beeinträchtigter Beschuldigter im Schweizer Strafrechtssystem fehlt jedoch bis heute. Diese Lücke am Beispiel von Sexualstraftaten zu füllen, war Ziel der hier vorgestellten explorativen Studie. In deren Rahmen wurden mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse justizielle Akten zweier Deutsch-schweizer Kantone zu Verfahren wegen Sexualdelikten mit Blick darauf analysiert, inwieweit die Verfahrensbeteiligten auf Mythen über geistige Behinderung und sexuelle Gewalt rekurrieren.