Herdtle, Steinert: Verfahren zur Beschwerdevalidierung: Das Self-Report Symptom Inventory in der sozialmedizinischen Begutachtung – Einzelartikel aus R&P 4/2023

Eine Simulationsstudie mit depressiven Patienten
Hintergrund: Beschwerdevalidierungstests haben in der sozialmedizinischen Begutachtung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die Anforderungen an Instrumente, die die Gültigkeit der geschilderten Beschwerden prüfen sollen, sind hoch. Mit dem Self-Report Symptom Inventory (SRSI) steht seit 2019 ein neues deutschsprachiges Testverfahren mit bisher vielversprechenden Testkennwerten zur Verfügung. Studien wurden bisher überwiegend mit gesunden Probandinnen und Probanden durchgeführt. Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung der Klassifikationseigenschaften des SRSI an einer klinischen Stichprobe. Das SRSI soll identifizierte Schwächen älterer Instrumente ausgleichen. In der vorliegenden Studie sollte die Klassifikationsgüte des Tests anhand einer Stichprobe depressiver Patienten überprüft werden.
Methoden: 60 Patienten mit einer depressiven Erkrankung oder einer Angsterkrankung wurden zufällig einer von zwei Gruppen zugelost. Die Interventionsgruppe erhielt die Anweisung, sich in die Situation eines Begutachtungsprobanden zu versetzen, der seine Beschwerden besonders deutlich machen möchte. Befragte der Kontrollgruppe wurden gebeten, wahrheitsgemäß zu antworten.
Ergebnisse: Beim Standard-Grenzwert wurde eine Sensitivität von 78,3 % und eine Spezifität von 69,0 % erreicht. Beim Screening- Grenzwert konnte eine Sensitivität von 87,0 % und eine Spezifität von 44,8 % erzielt werden. Die subjektive Beschwerdelast, erhoben im Brief Symptom Inventory, stellte sich in der weitergehenden Analyse als gewichtiger Einflussfaktor auf ein auffälliges SRSI-Ergebnis heraus (Standard-Grenzwert: OR = 3,31, Screening-Grenzwert: OR = 5,68).
Diskussion: Bei einer moderaten Sensitivität und mangelnder Spezifität blieb der Test hinter den hohen Erwartungen zurück. Eine höhere Symptombelastung erhöhte die Wahrscheinlichkeit falsch-positiver Klassifikationen um das 3,31- bis 5,68-Fache. Zu befürchten sind bei der Anwendung des Tests falsch-positive Klassifikationen, die gutachterliche Fehlbeurteilungen wahrscheinlicher machen.
Schlüsselwörter: Beschwerdenvaldierung, Self-Report Symptom Inventory, SRSI, Gutachten, RCT