Wertz, M.; Schiltz,K.; Imhoff, R; Rettenberger, M.: Der Einfluss des richterlichen Auftrags auf die Qualität der Arbeit von Sachverständigen im Rahmen der Prognosebegutachtung – Einzelartikel aus R&P 4/2020

Gemäß den aktuellen Empfehlungen für die Erstellung kriminalprognostischer Gutachten sind die Auftraggeber angehalten, den Gutachtenauftrag an den Sachverständigen möglichst präzise zu formulieren, den Gegenstand des Gutachtens zu beschreiben sowie klarzustellen, welche Fragen durch den Sachverständigen genau beantwortet werden sollen. Der Gutachtenauftrag soll sich dabei an den folgenden vier wesentlichen prognostischen Fragestellungen orientieren: (1) der Wahrscheinlichkeit erneuter Straftaten, (2) der Art, Häufigkeit und des Schweregrades erneuter Straftaten, (3) möglicher risikoreduzierender Maßnahmen und (4) möglicher risikoerhöhender Umstände. Empirische Belege, inwieweit richterliche Auftraggeber diese Vorgaben umsetzen und ob und in welcher Form diese Fragestellungen in der kriminalprognostischen Begutachtungspraxis durch Sachverständige beantwortet werden, liegen bislang kaum vor. Im Rahmen einer retrospektiven Gutachtenanalyse von Prognosegutachten bei Gewalt- und Sexualstraftätern aus der Justizvollzugsanstalt Freiburg und der Abteilung für Forensische Psychiatrie der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München (N = 787) in den Jahren von 1999 bis 2016 wurde die Umsetzung der Beantwortung prognostischer Fragestellungen durch Sachverständige unter Berücksichtigung der richterlichen Auftragsstellung einer empirischen Validierung unterzogen. Es zeigte sich, dass sich die Auftraggeber seit der Veröffentlichung von Mindestanforderungen verstärkt an den Vorgaben hinsichtlich der Auftragsstellung orientieren und die entsprechenden prognostischen Fragestellungen auch vermehrt durch Sachverständige beantwortet werden, wobei sich die prognostische Auftragsstellungs- und Begutachtungspraxis weiterhin heterogen darstellt. Insgesamt konnte festgestellt werden, dass die Formulierung des Gutachtenauftrags einen Einfluss auf die Qualität des Gutachtens dahingehend hatte, dass eine möglichst präzise Formulierung der genannten Fragen Sachverständige zu einer umfassenderen Beantwortung anhielt.

Schlüsselwörter: Kriminalprognose, Mindestanforderungen, Gewaltstraftäter, Sexualstraftäter, Sachverständige

DOI: 10.1486/RP-2020-04_193