Marschner, R.: Krisenintervention und Recht – Einzelartikel aus R&P 2/2021

Die praktische Umsetzung eines Konzeptes der weitgehend gewaltfreien Psychiatrie (Zinkler & von Peter, 2019) hängt entscheidend davon ab, welche Alternativen zu einer Zwangsanwendung insbesondere in Form einer Unterbringung zur Verfügung stehen. Während einer Unterbringung kann es zu weiteren Zwangsmaßnahmen wie Zwangsbehandlung und/oder Fixierung kommen. Gerade im Fall von Selbst- oder Fremdgefährdung kann eine Unterbringung häufig durch Maßnahmen der Krisenintervention vermieden werden. Allerdings gibt es weder im Gesundheitsrecht noch im Sozialrecht ausreichende und aufeinander abgestimmte Regelungen, die Menschen in Krisen flächendeckend und rund um die Uhr Hilfen zur Verfügung stellen. Vielmehr hängt es von regionalen und strukturellen Gegebenheiten ab, ob im Krisenfall ein Krisendienst bereitsteht, der Hilfen zur Überwindung der Krise und Vermeidung einer Unterbringung anbieten oder vermitteln kann. Damit wird gegen das Verfassungsgebot, Unterbringung und Zwang durch vorrangige Hilfen zu vermeiden, verstoßen.
      Schlüsselwörter: Institutionelle Gewalt, Unterbringung, Zwangsmaßnahmen, Krisendienste
      Crisis intervention and the law
        The practical implementation of a concept of largely non-violent psychiatry (Zinkler & von Peter, 2019) depends crucially on the availability of alternatives to the use of coercion, especially in the form of involuntary hospitalization. During placement, further coercive measures such as compulsory treatment and/or physical restraint may occur. In cases of risk to self or others, nvoluntary hospitalization can often be avoided through crisis intervention measures. However, neither in health law nor in social law are there sufficient and coordinated regulations in place that provide nationwide and around-the-clock assistance to people in crises. Rather, it depends on regional and structural circumstances whether a crisis service is available, which can offer or arrange help to overcome the crisis and thereby avoid involuntary hospitalization. This violates Germany’s constitutional requirement to avoid involuntary hospitalization and coercion by giving priority to assistance.
          Keywords: Institutional violence, involuntary hospitalization, coercion, crisis services, Germany
            DOI: 10.1486/RP-2021-02_69