Recht & Psychiatrie 3/2023 komplett

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DOI: 10.1486/RP-2021-01_0
Der erste Beitrag von Berthold, Randzio, Quade, Riedemann widmet sich der Zunahme an Untergebrachten mit schwerwiegenden BtMG-Delikten in den Entziehungsanstalten. Neben dem allgemeinen Anstieg der Gesamtbelegungszahlen in den forensischen Kliniken nach § 64 StGB sei auch eine stetige Zunahme an Untergebrachten mit einem BtMG-Delikt in den Entziehungsanstalten zu beobachten. In der Untersuchung wurde eine statistische Auswertung von Daten der Stichtagserhebung 2022 (N = 1625) vorgenommen. Danach wurde deutlich, dass Patienten mit einem Delikt nach BtMG und Parallelstrafe ab fünf Jahren in vielen der untersuchten anamnestischen Variablen signifikant günstigere Werte aufweisen. Zudem werden sie im Therapiealltag als angepasster wahrgenommen und erhalten häufiger eine positive Entlassungsempfehlung im Vergleich zu der restlichen Patientenstichprobe. Die Autoren vermuten, das aktuelle strukturelle Schwierigkeiten vieler Kliniken, wie Personalmangel und Überbelegungen, die Behandlung strukturschwacher und schwer suchtkranker Patienten weiter verschlechtern könnte.
Im zweiten Aufsatz von Kirchmann-Kallas und Riedemann wird den Risikofaktoren und Bedürfnissen in der Behandlung verschiedener Straftätergruppen im Maßregelvollzug gem. § 64 StGB nachgespürt. In aktuellen Studien deute sich an, dass sich verschiedene Straftätergruppen in der Unterbringung gem. § 64 StGB in ihrem Behandlungsbedarf unterscheiden, wohingegen über detaillierte test-diagnostische Unterschiede noch nicht berichtet wurde. In der Studie wurde im Fachkrankenhaus des Maßregelvollzugs Niedersachsen, Bad Rehburg, überprüft, wie häufig welche Straftaten die Grundlage der Unterbringung darstellen und wie sich die vier Straftätergruppen mit der höchsten Prävalenz in ihren Risikofaktoren, dem Vorliegen von psychopathischen Persönlichkeitsmerkmalen und ihrer Intelligenz unterscheiden. Dabei konnte gezeigt werden, dass Patienten der Gruppe der Betäubungsmitteldelinquenz im Mittel die geringsten Risikofaktoren und die geringste Ausprägung psychopathischer Persönlichkeitsmerkmale aufwiesen. Entgegengesetztes galt für die Gruppe derjenigen, die Eigentumsdelikte ohne Gewalt begangen hatte. Signifikante Unterschiede bzgl. des Intelligenzquotienten konnten nicht nachgewiesen werden. Auch wenn es sich um eine vergleichsweise kleine Stichprobe handele, so stünden die Ergebnisse doch im Einklang mit anderen Studien. Die Implikationen dieser Ergebnisse sollten, so die Autoren, in der Praxis bei der Abwägung von Thera-piebedarf, -anreiz und -dauer berücksichtigt und die strukturierte Diagnostik im erkennenden Verfahren und bei Aufnahme weiter in den Fokus gestellt werden.
Im letzten Beitrag von Traub, Ross wird die Frage nach einem Revival der »Forensifizierung« gestellt und die aktuelle Entwicklung des Maßregelvollzugs nach § 63 StGB betrachtet. Hierzu nimmt die Studie anhand einer Trendanalyse der Neuanordnungen in der Unterbringung nach § 63 StGB von 2007 bis 2021 (N = 13.817) eine Schätzung der weiteren Entwicklung. Die Autoren rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Unterbringungszahlen. In der Studie werden die Fallmerkmale der gerichtlichen Neuanordnungen im Hinblick auf mögliche Hintergründe des Anstiegs untersucht und retrospektiv in zwei Zeiträumen mit sinkenden und steigenden Tendenzen verglichen. Hierzu wird eine deskriptive Vollerhebung über einen Zeitraum von 15 Jahren durchgeführt. Aufgrund der Fallmerkmale wird eine Zunahme »klassischer« allgemeinpsychiatrischer Patienten mit Schuldunfähigkeit und eher mittelschweren Delikten vermutet und damit eine neue Welle der »Forensisfizierung« postuliert.