Schlimme, J. E.: Es war schon immer die Sterblichkeit, die unsere Augen für das Leben geöffnet hat … – Einzelartikel aus SI 4/2025

Wir Menschen haben aufgrund unseres komplexen Selbstverhältnisses die Freiheit, uns das Leben zu nehmen. Suizidentscheidungen nennen wir dann rational, wenn sie längerfristig wiederholt mit grundsätzlich nachvollziehbaren Argumenten erwogen sind. Unterstützung durch andere Personen können sie darüber hinaus nur begründet anfragen, wenn die weitestgehende Unveränderlichkeit des gegebenen Leidens nicht anders beeinflusst werden kann. Die Problematik der suizidalen Einengung und sozialen Isolation als auch eine damit zuweilen einhergehende schnellschussartige Entscheidung für einen Suizidversuch steht somit einer Rationalität der Suizidentscheidung im Wege. Denn Suizidentscheidungen sind dann rational bzw. wohlbegründet, wenn sie intersubjektiv über längere Zeit gestaltet werden. Dies gelingt besser, wenn die suizidwillige Person ihre Perspektive mit anderen ergebnissoffen diskutieren und ihre Sicht der Dinge und ihre Motive vorstellen kann. Räume für ergebnisoffene Gespräche als Ausdruck einer suizidprophylaktischen Haltung der Gesellschaft werden also nicht immer zum Umdenken bei der lebensmüden Person führen. Im Gegenteil müssen wir akzeptieren, dass es Situationen geben wird, in denen in diesen suizidprophylaktischen Begegnungsräumen eine Suizidassistenz angefragt wird, begründet ist und mitmenschlich angemessen wäre.
Autor: Jann E. Schlimme