Als diese Reihe zur »Seele in veränderter Gesellschaft« konzipiert wurde, war Krieg in Europa noch unvorstellbar. Waren wir blind? Warum hat die Diplomatie diesmal versagt? Selbstverständlich hat auch die zerstörte Stadt seelische Folgen, wirkt die Angst vor dem Krieg weit über Ländergrenzen hinweg. Auch die gesellschaftlichen Veränderungen, die den Krieg ermöglichen sind psychisch relevant. Insofern wird dieses Thema in allen Dialogen präsent sein.
Stadtraum und psychische Gesundheit
Prof. Dr. Thomas Bock, Prof. Dr. Jürgen Gallinat, Prof. Dr. Simone Kühn
Urbanes / großstädtisches Leben erhöht die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung. Was genau ist damit gemeint, was belastet unsere Seele? Und wie muss Stadtraum gestaltet werden, um psychische Gesundheit zu fördern? Welche Rolle spielt es, draußen sein zu können, in der Natur zu sein?
Und welche Konsequenzen hat das für Stadtplanung und Architektur? Gilt das auch für die bauliche Gestaltung von Kliniken, auch für die konkrete Atomsphäre von Stationen – etwa im Sinne der Milieutherapie und der SOTERIA-Kultur? Die Interviews berühren auch die Frage, wie der Diskurs von Wissenschaft und Kultur zu befördern ist. Wie kommt es, dass englische und irische Wissenschaftler schneller Position beziehen und ihre Politiker mit Ergebnissen füttern? Können und müssen sich nicht auch deutsche Neurowissenschaftler politisch positionieren?
In welchem Kontext entsteht Hass?
Prof. Dr. Thomas Bock, Prof. Dr. Ulrich Bröckling
Warum haben Hass-Bewegungen so viel Zulauf? Wie können wir dem entgegenwirken? Welche Rolle spielen gesellschaftliche Prozesse, soziale Aspekte und individuelle Bedürfnisse? Welche Konsequenzen hat Hass für unsere Gefühlswelt und unser Zusammenleben? Macht Hass blind oder eben hässlich? Was unterscheidet Hass als Gefühl, als Emotion und als Affekt? – Ist Hass die Voraussetzung von Krieg, seine Folge oder Ausdruck von Machtmissbrauch? Was kommt nach dem Krieg: Haben wir eine Chance aus dem Teufelskreis des Hassens herauszukommen?
Peer-Support – in verschiedenen Kulturen
Prof. Dr. Thomas Bock, Dr. Candelaria Mahlke
Peer-Support setzt sich durch. International! Nicht reibungslos, aber eindeutig. Peerarbeit kann die Behandlungskultur verändern – in Richtung Selbstwirksamkeit, Partizipation, Stigmaresistenz. Peer-Begleitung bei Angehörigen wirkt deren Vernachlässigung und Ausbeutung entgegen. Die Evidenz für beides ist groß. Welche kritische Masse wird gebraucht, um Psychiatrie wirklich zu verändern? Wann ist die Gefahr groß, dass Peer-Support vereinnahmt wird? Der gesellschaftliche Stellenwert ist abhängig vom kulturellen Kontext und vom Stand der Versorgung. Der Blick auf andere Kulturen hilft auch bei uns die Stärke von Peer-Support neu zu sehen, Hilfen auch wieder unabhängig von Psychiatrie zu denken.
Demut und Solidarität – innere Folgen äußerer Bedrohung
Prof. Dr. Thomas Bock im Gespräch mit Gwen Schulz, Marion Ryan und Christian Reumschüssel-Wienert
Verändert die zunehmende Bedrohung von außen unser Verständnis von und unseren Umgang mit seelischen Krisen? Muss man krank sein, um auf diese Welt verstört zu reagieren? Dürfen und können wir uns mehr enger Pathologie und starren Berufsrollen lösen? Und wenn wir das tun, müssten wir dann die Politik nicht im Sinne von Prävention (wieder) mehr in die Pflicht nehmen? – Was passiert, wenn wir anfangen, unsere unmittelbaren Lebensräume so zu gestalten, dass nicht nur Arten-Vielfalt, sondern unsere brüchige Seele geschützt ist? Was können wir für die Psychiatrie lernen, wenn wir die gesellschaftlichen Bedingungen von Hass besser verstehen? Wenn wir Partizipation auf allen Ebenen weiterentwickeln? Sollte Forschung partizipativer und mit ihren Ergebnissen politischer werden – auch in der Psychiatrie? Lehrt uns der Blick auf andere Kulturen, Peer-Support höher zu gewichten und doppelt zu denken – innerhalb psychiatrischer Institutionen und davon unabhängig?
Eine trialogische Reflexion des Oberthemas und der aktuellen Vorlesungs-Dialoge.
Buchtipps
Alle, die bei den angesprochenen Themen und dem Thema »Anthopologische Psychiatrie« noch weiter in die Tiefe wollen, möchten wir folgende Bücher ans Herz legen:
Offener Dialog – Die Vielfalt der Stimmen im Netz
Das Buch beschreibt eine Methode, die in Finnland längst erfolgreich ist: Therapieplanung und Kommunikation finden im gemeinsamen Gespräch zwischen behandelndem Team und der Person in der Krise sowie seinem sozialen Netzwerk statt. Die Neuausgabe reflektiert auch Erfahrungen mit der Umsetzung des Konzepts im deutschen Hilfesystem.
Psychose und Eigensinn – Noncompliance als Chance
Wie zwei Höllenhunde bewachen »Krankheitseinsicht« und »Compliance« den Zugang zum psychosozialen Hilfesystem. Dass aber gerade »Eigensinn« und »Noncompliance« Lebensqualität und Recovery ermöglichen, zeigen die Beiträge und Geschichten in diesem Buch.
Das Weddinger Modell – Resilienz- und Ressourcenorientierung im klinischen Kontext
Die umfassende Einbeziehung der Patienten, Angehörigen und behandelnden Fachkräfte beinhaltet unter anderem trialogische Visiten und Arztbriefbesprechungen. Die unterschiedlichen Berufsgruppen erhalten gemeinsame Fortbildungen und übernehmen auch gemeinsam Verantwortung für die Behandlung. Die Stärkung des mulitprofessionellen Teams ist eine zentrale Säule des Weddinger Modells.