Nähe ist schön und manchmal schwierig. Wir können sie wünschen und fürchten – sie ist existentiell für unser Leben, unsere Gesundheit. Und wenn wir trotzdem erkranken, ist der Wesenskern von
(Psycho)Therapie persönliche Begegnung. Und nun? Die Corona-Krise konfrontiert uns mit Abstandsregeln, manche mit Isolation. In der Öffentlichkeit verschwinden Gesichter hinter Masken – was macht das mit uns? Wir haben Angst vor dem Virus, vor der Ohnmacht (der Medizin), vor der eigenen Überforderung im Alltag. Schreckliche Bilder prägen uns. Wie bewahren wir Hoffnung? Müssen wir die Nähe retten? Oder müssen wir umdenken: Mehr Home-Office, mehr virtuelle Therapie, Video-
konferenzen, Chatrooms …. Was wird aus Nähe, Bindung, Liebe, Vernunft …
Bedeutung von persönlicher Nähe und Begegnung – oder müssen wir umdenken?
TeilnehmerInnen EXperienced-INvolvement-Kurs 14 und Gyöngyver Sielaff.
Therapie lebt von Begegnung; das gilt auch für die Peer-Arbeit / Genesungsbegleitung! Die Art, wie wir Nähe und Begegnung leben, ist verschieden. Müssen wir nun alle umdenken, uns an Masken gewöhnen und unsere Kommunikation virtuell erweitern? Und was bedeutet das für psychische Gesundheit und Krankheit, für unser Leben mit und ohne Psychiatrie?
Wenn die Gefahr von außen alle betrifft – macht Corona solidarischer?
Gwen Schulz, Genesungsbegleiterin / Prof. Dr. Thomas Bock, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Mehr Gleichheit auch in der Psychiatrie? Plötzlich ging vieles nicht mehr. Gewohnte Kontakte / Gruppen waren blockiert. Wer konnte, mied die Station – schon allein wegen der Ansteckungsgefahr. Eine Chance, die Psychiatrie vom Kopf auf die Füße zu stellen? Plötzlich sitzen alle in einem Boot, wird Angst Allgemeingut, Bedrohung selbstverständlich, Zwangshandlung zum verordneten Ritual. Eine Chance, psychische Störung anders wahrzunehmen, sich mehr als bisher symmetrisch als Subjekte zu begegnen? Verändern Abstand und Masken unsere Begegnungskultur?
Liebe zu Zeiten der Corona-Krise
Bianca Scheunemann, Genesungsbegleiterin / PD Dr. Daniel Schöttle, Oberarzt Station Psycholsen und bipolare Strörungen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Abstand, Rückzug, Angst vor Ansteckung – werden wir künftig Nähe meiden? Oder müssen wir jetzt immer treu bleiben? Wird Liebe einsam? Oder wird sich unser Mut durchsetzen? Können wir unserer Wildheit vertrauen? Ist die Erotik stärker als ein Virus (ist ja nicht der erste)? Mit Online-Angeboten können wir sie abholen, Mut machen, stärken … Persönliche Begegnung geht nicht verloren, sondern gewinnt hinzu! Zwei Perspektiven und Erfahrungen aus der Praxis begegnen sich.
Flucht nach vorne – online geht mehr als wir denken!
Reiner Ott, Genesungsbegleiter, Hamburg / Michael Schweiger, Geschäftsführung und Bereichsleitung Integrationsfachdienst, ARINET GmbH.
Manche Menschen verbringen viel Zeit am Computer, sind zurückhaltend mit Begegnung, haben schlechte Erfahrung gemacht oder Angst davor. Mit Online-Angeboten können wir sie abholen, Mut machen, stärken, … persönliche Begegnung geht nicht verloren, sondern gewinnt hinzu! Zwei Perspektiven und Erfahrungen aus der Praxis begegnen sich.
Inflation der Verschwörungstheorien – wer schwört wem?
Prof. Dr. Michael Butter, Englisches Seminar, Universität Tübingen.
Verschwörungstheorien scheinen Konjunktur zu haben. Spielen die Angst vor dem unsichtbaren Feind (Corona) oder die Folgen einer gespaltenen Gesellschaft (USA) eine wesentliche Rolle? Wer neigt zu Verschwörungstheorien und warum? Gibt es aus historischer Perspektive eine Zunahme oder doch eher das Gegenteil? Nutzt der Vergleich mit Wahn? Was hilft, um diesem Phänomen zu begegnen – gesellschaftlich, politisch, wissenschaftlich, aber auch in der ganz persönlichen / familiären Auseinandersetzung? Der Dialog zwischen Thomas Bock und dem Spezialisten Prof. Michael Butter führt zu hoffnungsvollen Schlussfolgerungen, u.a. zu Aufträgen an Politik und Wissenschaft …
»Völlige Gehirnerweichung« – zu Gottfried Benn und Else Lasker-Schüler
Dr. Marlies Graser, Peerbegleiterin St. Josephs-Krankenhaus/ Dr. Torsten Flögel, Beschwerdestelle Psychiatrie, beide Berlin.
Else Lasker-Schüler und Gottfried Benn befremdeten und schockierten vor über 100 Jahren ihre Zeitgenossen, sie mit ihrer leidenschaftlichen und schwärmerischen Dichtung (und mit ihrem Auftreten); er, der Arzt und Schriftsteller war, mit Gedichten aus dem Leichenschauhaus in seinem ersten Gedichtband „Morgue“. Beide verband in den Jahren 1912/13 eine kurze und intensive Liebesbeziehung, die auch poetisch ihren Niederschlag fand. Während viele Literaturwissenschaftler ihre Grundverschiedenheit betonen, sagt Kerstin Decker, dass das Gegenteil der Fall sei: „Seele erkennt Seele“. Beide kennen „Zustände, wo jedes Ich aufhört – eine Grunderfahrung des Dichtens….und Zustände, wenn das Ich wieder fest wird und sich unendlich vervielfacht“. In ihren Gedichten drücken sie Grenzzustände aus, die spannungsreich, zutiefst menschlich und doch fremd sind.
Buchtipps
Alle, die bei den angesprochenen Themen und dem Thema »Anthopologische Psychiatrie« noch weiter in die Tiefe wollen, möchten wir folgende Bücher ans Herz legen:
Wahnsinnig nah – Ein Buch für Familien und Freunde psychisch erkrankter Menschen
Wenn ein Partner, ein Kind oder Elternteil psychisch erkrankt, helfen Angehörige und Freunde gerne. Aber wie? Und wie viel Hilfe tut gut – dem Betroffenen und einem selbst? Was ist mit den eigenen Ängsten, Sorgen und vielleicht auch Scham- und Schuldgefühlen?
Die Erfahrungen anderer Angehöriger bieten Entlastung und machen Mut. Expertinnen und Experten erklären, was Diagnosen bedeuten – und was nicht –, welche Hilfe- und Behandlungsangebote es gibt und wie man gut miteinander kommuniziert. Denn wer informiert ist, kann Grenzen setzen, Vorurteilen gelassen begegnen und sich selbst Hilfe holen.
Paare mit Paketen – Psychische Erkrankungen gemeinsam meistern
Wenn Partnerinnen oder Partner psychisch erkranken, potenzieren sich die Probleme, heißt es. Aber ist das wirklich und immer so? Karen-Susan Fessel hat elf Paare einfühlsam zu den Schwierigkeiten, aber auch eventuellen Vorteilen befragt. Mit zuweilen erstaunlichen Ergebnissen.